#9: Was können wir von Andrej Ammann lernen?
Shownotes
In dieser Folge reflektiert Host Lars die inspirierende Geschichte von Andrej Ammann, einem erfolgreichen Unternehmer mit Legasthenie. Zeitstempel: 0:02 Einführung in die Folge 0:56 Andrej Ammanns offener Umgang mit Legasthenie 1:50 Frühe Erkennung und Förderung in der Kindheit 3:02 Stärkenförderung durch Sport und Musik 3:41 Beruflicher Werdegang von Andrej 5:03 Vergleich mit anderen Legasthenikern 8:06 Herausforderungen und Lösungsansätze 10:09 Kommunikation und persönliche Stärken 14:13 Ausblick auf die nächste Folge Hauptthemen: Andrejs Weg vom Legastheniker zum erfolgreichen Fitnessclub-Unternehmer Bedeutung früher Erkennung und individueller Förderung Rolle von Sport und Musik bei der Stärkenentwicklung Herausforderungen und Erfolge im beruflichen Werdegang Vergleich mit anderen Legasthenikern und Grenzen der Übertragbarkeit Bedeutung von Motivation, psychischer Stabilität und professioneller Hilfe Notwendigkeit der aktiven Arbeit an Lese- und Schreibschwierigkeiten Kernaussagen: Ein unterstützendes Umfeld und gute schulische Bedingungen sind entscheidend. Potenzialentfaltung allein reicht nicht aus; aktive Arbeit an Schwächen ist wichtig. Moderne Lernstrategien und technische Hilfsmittel können Schwierigkeiten kompensieren. Kommunikationsfähigkeit als besondere Stärke vieler Legastheniker Nächste Folge: Thema "Soziale Umwelt" und deren Einfluss auf Betroffene Kontakt: Betroffene, die ihre Geschichte teilen möchten, können sich jederzeit bei Lars melden. https://www.legasthenie-coaching.de
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[0:03] Hallo ihr Lieben, herzlich willkommen zur neunten Folge unseres Legasthenie-Coaching-Podcasts.
[0:12] In dieser Folge werden wir uns mit dem Thema "Was können wir von Andrej Ammann lernen?" beschäftigen. In der letzten Folge hat uns Andrej seine spannende Geschichte erzählt, wie er vom Legastheniker zum Fitnessclub-Unternehmer in der Ostschweiz geworden ist. Heute möchte ich seine Geschichte reflektieren und als Experte einordnen.
[0:56] Was ich sehr beeindruckend fand, ist, dass er so mutig mit dem Thema Legasthenie umgeht. Das würde ich mir häufiger von uns Betroffenen wünschen. Dass ich natürlich ganz offen mit dem Thema umgehe, dafür bin ich bekannt. Andrej ist in der Schweiz dafür bekannt, aber es gibt auch noch eine ganze Reihe von Leuten, die sich in der Öffentlichkeit geoutet haben. Aber bis heute ist es in unserer Gesellschaft immer noch eine große Hürde. Er steht zu seiner Schwäche, besonders zur Legasthenie, obwohl sie in der Öffentlichkeit leider oft ungünstig verstanden wird. Das habe ich ja schon zum Thema Legasthenie und Behinderung gesagt.
[1:50] Aber nochmal zurück zu Andrej. Bei ihm wurde deutlich, dass die Schwierigkeiten in der frühen Kindheit erkannt wurden. Schon in der zweiten Klasse wurde seine Legasthenie festgestellt. Dann hatte er das Glück, dass seine Eltern beide Lehrer waren und vielleicht einen anderen Blick auf das Thema hatten. Und dann hatte er noch das allergrößte Glück, oder man kann es auch so nennen, Privileg, dass er auf dem Institut am Rosenberg war. Das ist eine schweizerische Eliteschule, wenn man das aus dem Kontext des deutschen Schulsystems betrachten würde. Da hatte er natürlich Glück, in kleinen Klassen gefördert und unterstützt zu werden. Das bietet unser Bildungswesen kaum. Das ist schon ein großer Unterschied.
[3:02] Was natürlich sehr schön ist, dass er durch den Sport und die Musik in der Schulzeit seine Fähigkeiten ausbauen konnte. Das ist eine tolle Sache, wenn man in der frühen Kindheit seine Stärken findet und sie ausbauen kann und vom sozialen Umfeld, der Schule oder der Familie dabei unterstützt und gefördert wird. Das wünscht man sich für viele andere. Das ist aber nicht bei allen anderen so.
[3:41] Und dann ist der berufliche Werdegang von Andrej natürlich sehr spannend. Durch seine Leidenschaft konnte er sich vom Sporttrainer zum Unternehmer recht gut entwickeln. Er hatte von seiner Großmutter und seinem Bruder ein gewisses Startkapital bekommen und konnte dann Stück für Stück seine Fitnessclubs aufbauen. Er fing ganz klein an und heute sind es glaube ich über 82 Fitnessclubs in der Ostschweiz. Das kommt natürlich nicht von heute auf morgen, sondern hat sich in den letzten Jahrzehnten Stück für Stück aufgebaut. Und was ich von Andrej weiß, ist, dass er bis heute noch sehr engagiert ist. Es ist ein Familienunternehmen, das da gegründet wurde, und sie waren bei jeder Fitnessclub-Gründung persönlich dabei und sind sehr engagiert. Das erfordert natürlich viel Motivation und Kraft.
[5:03] Darum ist seine Geschichte natürlich nicht unbedingt mit allen anderen Legasthenikern vergleichbar. Sicherlich, wie er es geschildert hat, kennt er eine ganze Reihe erfolgreicher Legastheniker. Die kenne ich auch. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich aber, dass es auch einige gescheiterte Betroffene gibt. Und dafür gibt es viele andere Gründe. Das werde ich dann in den nächsten Episoden mit euch besprechen, warum man mit Legasthenie nicht scheitern muss. Denn die Ursachen dafür sind sehr verschieden und hängen nicht nur mit eigener Motivation zusammen, wie es vielleicht Andrej einschätzen würde. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen weiß ich, dass es nicht nur damit zusammenhängt. Natürlich kann man eine große Motivation haben, aber wenn man nicht psychisch stabil genug ist, wie will man trotz guten Potenzials dann das Ziel erreichen? Da stehen dann viele andere Blockaden im Weg, die mittels professioneller Hilfe überwunden werden müssen.
[6:48] Aber was wir von ihm lernen können, ist, dass es hilfreich ist, wenn man ein gutes Umfeld zu Hause hat und gute schulische Bedingungen, die einen wertschätzen und unterstützen und die auch da helfen, wo man seine Stärken hat, dass man nicht nur auf die Schwächen schaut. Was Andrej eher ausgeklammert hat, ist, dass man vielleicht aktiver an den Problemen beim Lesen und Schreiben arbeiten muss, um die Schwierigkeiten zu kompensieren. Potenzialfindung ist zwar schön und gut, wenn man ein privilegiertes Umfeld hat, muss man sich da vielleicht nicht so sehr darum kümmern. Aber was auch sehr wichtig ist, ist, dass man die Schwierigkeiten trotz des Erwachsenenalters mittels einer Lerntherapie oder Coaching oder psychologischer Unterstützung bewältigen lernt. Denn heute gibt es so viele Möglichkeiten, technische Hilfsmittel und andere Lernstrategien, um die Schwierigkeiten zu kompensieren.
[8:06] Darum ist der Fall Andrej schon ein schönes Beispiel, dass er über sein Potenzial vieles kompensieren konnte, aber wie er erzählt hat, hat er bis heute noch starke Schwierigkeiten. Hätte er die Schwierigkeiten vielleicht direkter angegangen und nicht nur über das Potenzial, wäre es heute vielleicht noch besser. Dass er vielleicht fehlerfreier schreiben und schneller lesen könnte. Und dass ihm das Lesen noch deutlich mehr Freude machen würde. Das sind Fragen, die ich mir als Experte stelle. Die kann Andrej gerne in einer nächsten Episode schildern. Dazu ist er herzlich eingeladen. Auch andere Betroffene, die uns ihre Geschichte hier erzählen möchten, können gerne zu meinem Podcast eingeladen werden. Ihr könnt euch jederzeit bei mir melden, wenn ihr dazu Lust habt.
[9:16] Aber wie ich schon erzählt habe, ist der Fall von Andrej nicht auf alle Legastheniker übertragbar. Man kann nicht automatisch sagen, du musst nur viel Power geben und dich da reinknien und es wird schon, wenn du nur auf deine Potenziale achtest, dann wirst du die Schwäche bewältigen. Das ist viel zu einseitig. Ein umfassenderer Ansatz wäre, die Schwierigkeiten mit professioneller Hilfe zu bewältigen und dadurch das Potenzial zu entfalten. Warum das wichtig ist, werde ich in den nächsten Episoden erklären. Warum nicht nur Potenzialfindung für die Bewältigung einer Legasthenie ausschlaggebend ist.
[10:09] Aus der Praxis kenne ich natürlich eine ganze Reihe von anderen Fällen, die über ihr Potenzial ihre Schwierigkeiten recht gut bewältigt haben. Aber es gibt auch Fälle, die trotz ihrer Potenziale ihre Schwierigkeiten angegangen sind. Mittels Training und Hilfsmaßnahmen sind sie im Lesen und Schreiben besser geworden. Denn wenn man gravierende Schwierigkeiten im Lesen hat, zum Beispiel auch im Textverständnis, nutzt einem das tolle Potenzial nicht viel, wenn man die Schwierigkeiten nicht kompensiert hat.
[10:54] Oder auch bei den Rechtschreibfähigkeiten. Wenn man im Verkauf zum Beispiel ein guter Vertriebler ist, sehr gut mit den Kunden kommunizieren kann, wie es auch Andrej kann, aber fehlerhafte E-Mails verfasst, da sollte man schon mehr dafür tun, um die Schwierigkeiten zu bewältigen. Ich bin beide Bereiche angegangen. Heute nutze ich natürlich auch meine Potenziale, aber ich musste in den letzten Jahren meine Schwierigkeiten angehen. Natürlich bin ich in der privilegierten Situation, dass ich in der alltäglichen Praxis mit dem Schriftspracherwerb konfrontiert bin. Ich muss mit meinen Schützlingen, egal ob sie Grundschüler sind oder Erwachsene, lesen und schreiben. Und dadurch habe ich in den letzten Jahren auch meine Fähigkeiten gut angleichen und kompensieren können.
[11:58] Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass man neben den Kompensationsstrategien, die man in seinen Fähigkeiten findet, auch Strategien entwickelt, wie man seine Probleme bewältigt. Und die sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Was mir noch sehr gut bei Andrej aufgefallen ist, ist, dass er ein Kommunikationstalent ist. Er kann wirklich gut erzählen und die Leute begeistern und mitreißen. Da kenne ich noch eine ganze Reihe anderer Fälle, die da besondere Stärken haben. Sie können sich gut in Menschen einfühlen und gut kommunizieren. Das wäre vielleicht sogar noch ein Thema für eine weitere Podcast-Folge zum Thema Kommunikationsstärke bei Legasthenikern im Erwachsenenalter.
[13:00] Wie ihr seht, kommen mir, obwohl ich das gar nicht geplant habe, immer wieder neue Ideen, wenn ich euch diese Sachen hier berichte und erzähle. Mal schauen, was sich da umsetzen lässt. Ich möchte gar nicht so viel versprechen, denn diese Podcasts nehme ich gerade hier am 10. Oktober in den Herbstferien auf, wo ich etwas mehr Zeit habe. Denn mein beruflicher Alltag ist immer ziemlich voll mit anderen Aufgaben, aber da ich in der Öffentlichkeit auch mehr über das Thema berichten und euch Mut machen möchte und aus meiner täglichen Praxis berichten will, werde ich euch immer wieder hier in meinem Podcast über meine Erfahrungen erzählen. Das macht mir große Freude, denn ich wachse auch an dieser Aufgabe. Man sollte sich immer wieder neue Aufgaben suchen.
[14:00] Sonst war ich in den ganzen Jahren ein schreibender Journalist. Jetzt übe ich mich im Sprechen. Wie ihr hört, werde ich sicherer. Und das macht mir auch riesige Freude.
[14:13] In der nächsten Podcast-Folge erwartet euch das Thema soziale Umwelt. Da werde ich genauer darauf eingehen, welche sozialen Umweltbedingungen für uns Betroffene wichtig sein können, besonders in der Kindheit. In der nächsten Zeit folgen auch noch besondere Folgen zum Kindesalter, wo wir über das Thema Lese-Rechtschreib-Schwäche sprechen und Ratschläge für Eltern geben, deren Kinder Lese-Rechtschreib-Schwächen haben. Ich freue mich, euch bald wieder hier begrüßen zu können. Euer Lars. Vielen Dank.
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